Kein Anspruch von Betroffenen gegen soziale Sonderung an Privatschulen vorzugehen
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11.10.2022, Az.: 3 U 110/21

Der konservative 3. Senat des Brandenburgischen OLG, der auch schon durch seine Rechtsprechung zur Beitragsgestaltung privater Kitaträger als besonders marktliberal aufgefallen ist, hat in seinem Urteil vom 11.10.2022 zementiert, dass betroffene Schüler in Privatschulen keine Möglichkeit haben, die Höhe des Schulgeldes bezüglich des verfassungsrechtlichen Verbots der sozialen Sonderung zu überprüfen. Ein unterhaltspflichtiges Elternteil getrennter Eltern kann auch nicht einwenden, den Mehrbedarf für den Schulbesuch aus seinem Einkommen nicht mehr aufwenden zu können.

Der Kernsatz des OLG Urteils Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG legt dem Staat zwar die Pflicht auf, das private Ersatzschulwesen zu schützen und eine soziale Sonderung von Schülern auszuschließen – „Diese Schutzpflicht findet jedoch ihren Grund in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Privatschulwesens, also in der Förderung individueller Freiheit der Ersatzschulträger, nicht aber in den Rechten der Eltern (vgl. BVerwG, NVwZ 1993, 691). Schutzsubjekt ist damit die private Ersatzschule, nicht aber Eltern oder Schüler (vgl. LAG Baden-Württemberg, NzA-RR 2016, 553)“.

 

Das OLG stellt fest, dass der Privatschulvertrag ein „Dienstvertrag gemäß §§ 611 ff. BGB ist. Der Anspruch“ „auf Zahlung der Schulkostenbeiträge beruht mithin auf einer zivilrechtlichen Vereinbarung zwischen den Parteien. Dass eine private Ersatzschule im Hinblick auf Notengebung und Versetzungsentscheidungen mit hoheitlichen Befugnissen verliehen sein mag, berührt nicht den privatrechtlichen Charakter des Schulvertrages.“

„Der Einwand, die Beitragsordnung einer Ersatzschule verstoße gegen das Sonderungsverbot des Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG, ist der Beurteilung“ der Zivilgerichte „grundsätzlich entzogen“. Eine von der Entscheidung der zuständigen Schulaufsichtsbehörde „über die Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb einer Ersatzschule abweichende Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit“ einer betriebenen Ersatzschule „ist einem Zivilgericht nicht möglich.“

„Die Einhaltung des Sonderungsverbots ist in Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG ausdrücklich als Voraussetzung für die Genehmigung hervorgehoben. Gemäß Art. 7 Abs. 4 S. 2 GG bedürfen private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen der Genehmigung des Staates. Nach Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG ist die Genehmigung zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.“

„Die Ersatzschulgenehmigung ist nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, 171 Abs. 1 S. 1 HSchG daher zwingend zu versagen oder aufzuheben, wenn überhöhte Schulgelder zu einer Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern führen (vgl. zu dem gleichlautenden Art. 102 Abs. 3 SächsVerf. OVG Bautzen Urt. v. 2.3.2011 – 2 A 47/09, BeckRS 2011, 49425).“

Der von dem Beklagten gerügte Schulbeitrag „ist schon deshalb nicht nichtig gemäß § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen das Sonderungsverbot, weil Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG kein Verbotsgesetz ist. Aus dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes kann sich das Verbot eines Rechtsgeschäfts ergeben (vgl. MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 134 Rn. 45). Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG entfaltet zugunsten des Beklagten aber keine unmittelbare Drittwirkung. Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG legt dem Staat zwar die Pflicht auf, das private Ersatzschulwesen zu schützen. Diese Schutzpflicht findet jedoch ihren Grund in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Privatschulwesens, also in der Förderung individueller Freiheit der Ersatzschulträger, nicht aber in den Rechten der Eltern (vgl. BVerwG, NVwZ 1993, 691). Schutzsubjekt ist damit die private Ersatzschule, nicht aber Eltern oder Schüler (vgl. LAG Baden-Württemberg, NzA-RR 2016, 553).“

Der Beklagte kann gegenüber seiner vertraglichen Verpflichtung aus dem Schulvertrag auch nicht einwenden, er könne den Mehrbedarf (§ 1610 Abs. 2 BGB) für den Besuch der Privatschule aus seinem Einkommen nicht mehr aufbringen. Ob, und in welchem Umfang der Unterhaltsschuldner für den Mehrbedarf aufkommen muss, betrifft den erweiterten Unterhaltsanspruch der Kinder. Die vertragliche Verpflichtung des Beklagten gegenüber dem Kläger wird hiervon nicht berührt. Dem Kläger steht es gemäß § 421 BGB frei, welchen der beiden Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Die Inanspruchnahme des Beklagten durch den Kläger ist auch nicht treuwidrig, weil der Beklagte den Schulvertrag, den beide Eltern gemeinsam abgeschlossen haben, nicht allein kündigen kann. Dem Beklagten steht es offen, wenn sich die Eltern nicht auf einen Schulwechsel einigen, ein Verfahren gemäß § 1628 BGB bei dem Familiengericht einzuleiten (vgl. Klinkhammer in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Auflage 2019 Rn. 455).
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