Pressefreiheit bei Verdachtsberichterstattung in einem Internetblog

noch nicht rechtskräftig

Urteil der Landgerichts FF/O vom 08.06.2020 – Aktenzeichen 11 O 108/20 (noch nicht rechtskräftig)

Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit jedoch keine Anforderung gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen… Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst Öffentlichkeit Wert verliehen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch ihre präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt.

Im Einzelnen:
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren wendet sich der Verfügungskläger gegen eine seiner Meinung nach unzulässige Verdachtsberichterstattung durch eine Internetveröffentlichung des Verfügungsbeklagten.
Der Verfügungskläger ist Vorstandsvorsitzender der ________ e.V.. Der Verfügungsbeklagte ist Betreiber des Blogs ______  und Verfasser der vom Verfügungskläger beanstandeten Beiträge. Der Verfügungsbeklagte ist Journalist und Mitglied des Deutschen Verbandes der Pressejournalisten. Der beanstandete Beitrag wurden am 8.5.2020 veröffentlicht. Er berichtet über Vorgänge in der _________ e.V. und äußert in Bezug auf den Verfügungskläger sowie andere Mitglieder des Vereinsvorstands bereits in der Überschrift den Verdacht strafbarer Handlungen, namentlich der Untreue. So sei die Neueinstellung von _________ als Geschäftsführerin der _____________ e.V. satzungswidrig erfolgt. Das mit ihr vereinbarte Entgelt stelle eine unangemessene Vergütung dar. … Über die Vorgänge in der _________  wurde auch in der regionalen Tagespresse, so in der Märkischen Oderzeitung am 30.4.2020 und am 19.5.2020 ausführlich berichtet.
Mit Schreiben vom 13.05.2020 wurde der Verfügungsbeklagte durch die Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsklägers bezüglich des streitgegenständlichen Beitrags abgemahnt und aufgefordert, die Veröffentlichung des Artikels zu unterlassen….

Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.
Der Verfügungskläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Berichterstattung wegen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus §§ 823 Abs. 1, 2 BGB, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB, Art. 2 Abs. 1 GG.-
Nach Auffassung des Gerichts kann sich der Verfügungskläger in Hinblick auf die individualisierende Berichterstattung auf eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht berufen. So sind die Vorgänge im Zusammenhang mit der Anstellung, Kündigung, Fortsetzung des Anstellungsvertrags mit ______  sowie die Abberufung der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden bereits in der Presse mehrfach thematisiert worden, wobei sich auch der Verfügungskläger selbst der medialen Öffentlichkeit und der individualisierenden Berichterstattung bedient, um die Vorgänge in der ______  e.V. bekanntzumachen und die breite Öffentlichkeit zu informieren. Dies ist beispielsweise so mit der Berichterstattung in der Märkischen Oderzeitung am 30. April und 19. Mai 2020 geschehen. Das Gericht verweist insoweit auch auf das einstweilige Verfügungsverfahren 12 O 124 / 20.
Es liegt auch keine unzulässige Verdachtsberichterstattung vor.
Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn der Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vergleiche dazu Palandt- Sprau BGB 77. Aufl. § 823 Rn. 95 mit weiteren Nachweisen). Im Streitfall stehender Schutzinteresse des Verfügungsklägers an seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht einerseits und die in Art. 5 GG verankerte Meinungs- und Pressefreiheit des Verfügungsbeklagten andererseits gegenüber. Um der Eigenart der hier in Rede stehenden Verdachtsberichterstattung gerecht zu werden und im Streitfall die dem Ausgleich der Interessen angemessene Konkretisierung eines Unterlassungsanspruchs zu bestimmen, kommt es darauf an, ob die angegriffene Berichterstattung den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung genügt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, so lange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 103 90 StGB vergleiche dazu BGH, NJW 2015,778; Palandt- Sprau, § 823 Nr. 102 mit weiteren Nachweisen). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderung gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (BGH, NJW 2015,778 Tz. 15). Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst Öffentlichkeit Wert verliehen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch ihre präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt eine rechtmäßige Verdachtsberichterstattung vor. In dem Bericht wird ausdrücklich lediglich von einem Verdacht gesprochen. Der Umstand, dass Strafanzeige erstattet ist, ist eine wahre Behauptung. Der Bericht ist durchweg sachlich und basiert auf einem Mindestbestand an Beweistatsachen, eine abwertende Charakterisierung des Verfügungsklägers liegt nicht vor. Vielmehr ist die Verdachtsberichterstattung des Verfügungsbeklagten zurückhaltend und an bekannten Fakten orientiert. Eine Vorverurteilung ist der Berichterstattung nicht zu entnehmen. Unstreitig sind die Tatsachen, dass der Verfügungskläger den Anstellungsvertrag mit _____ allein unterschrieben hat, dass ihr Gehalt 6500 € monatlich beträgt und dass -bei Zugrundelegung der Vorgaben des Landkreises-die Vergütung 32 % über dem Gehalt liegt, welches vom Landkreis als angemessen bezeichnet wird. So errechnet sich auch der behauptete jährliche Schaden des Vereins i.H.v. 25.000 €. Im Zusammenhang mit den vorangegangenen Ereignissen und Äußerungen im Gesamtkontext des Beitrags handelt es sich um eine von beiden Parteien öffentlich geführte Debatte um Entscheidungen des Vorstands des Vereins. Die unterschiedlichen Positionen und gegenseitigen Vorwürfen waren dabei auch bereits Gegenstand der Medienberichterstattung. Es handelt sich um einen Schlagabtausch, der auch hinsichtlich der konkreten getätigten Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.- –

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Z. 6 ZPO