Widerruf eines Lebensversicherungsvertrags
zwischenzeitliche Abtretung von Ansprüchen als Kreditsicherheit, Abweichung der Widerrufsbelehrung zur Musterwiderrufsbelehrung „Beitrag“ statt „Prämie“, Abweichende Form der Widerrufsbelehrung, Verwirkung durch treuwidriges Verhalten
Urteil des AG Bernau bei Berlin vom 11.02.2020 – Aktenzeichen: 10 C 315/19
Die Parteien stritten über Rückzahlungsansprüche aus der Rückabwicklung eines Risikolebensversicherungsvertrages. Der Kläger schloss mit der Beklagten einen Risikolebensversicherungsvertrag. Versicherungsbeginn war der 01.08.2013. Der Kläger hatte die Ansprüche am 20.09.2013 an eine Sparkasse als Kreditsicherheit abgetreten. Der Kläger zahlte die geforderten Beiträge.
Mit Schreiben vom 16.11.2018 widerrief der Kläger den Versicherungsvertrag und forderte die Rückabwicklung des Vertrages. Die Widerrufsfrist sei wegen einer verbraucherunverständlichen Abweichung der Widerrufsbelehrung von der Musterwiderrufsbelehrung noch nicht abgelaufen. Im Versicherungsschein heißt es im Gegensatz zur Anlage zu § 8 VVG (Musterwiderrufsbelehrung) statt „Prämie“ durchgehend „Beitrag“. Die Beklagte wies den Widerruf zurück.
Das Amtsgericht Bernau bei Berlin hat die Klage mit Urteil vom 11.02.2020 abgewiesen.
„Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Denn für die jeweiligen Prämienzahlungen bestand mit dem Versicherungsvertrag ein Rechtsgrund. Dieser Rechtsgrund ist auch nicht nachträglich entfallen.
Allerdings ist der Kläger aktivlegitimiert. Zwar hatte er im Jahre 2013 seine Forderungen aus dem Lebensversicherungsvertrag an die ___ Sparkasse abgetreten. Mit Schreiben vom 18.03.2019 hat die ___ Sparkasse konkludent die Forderung rückabgetreten…
Der Kläger hat insbesondere nicht wirksam nach § 8 Abs. 1 VVG dem Versicherungsabschluss mit Schreiben vom 16.11.2018 widerrufen. Die Widerrufsbelehrung … ist nicht zu beanstanden. Eine Unklarheit ist bereits deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte das Wort „Beitrag“ vom Wortstamm einheitlich im gesamten Vertragstext verwendete. Zwar sind die Ausdrücke „Prämie“ in der Musterwiderrufsbelehrung und der hiesigen Widerrufsbelehrung mit „Beitrag“ unterschiedlich. Hierauf kommt es nicht an. Die Beklagte hat in ihrem Vertragstext einheitlich das Wort „Beitrag“ im gleichen Sinne wie Prämie verwandt (überdies ein deutsches Wort und nicht etwa „Prämie“ als ausländisches Wort). Übrigens: selbst wenn die Beklage die Worte gleichzeitig verwendet hätte, wäre dies wohl wegen der KIarheitenregeI nicht zu beanstanden. Betrachtet man nämlich eine aktuelle Entscheidung des BGH IV ZR 132/18 vom 27.03.2019, so verwendet der BGH beide Begriffe nebeneinander. Überdies war in der vorgenannten Entscheidung eine Widerrufsbelehrung mit folgendem Wortlaut virulent: „Widerrufsfolgen: Der Versicherer hat die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Beiträge nicht zu erstatten, wenn Sie Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen haben. Sie haben, sofern Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt, im Falle eines rechtzeitigen Widerrufs nur Anspruch auf Erstattung bereits gezahlter Beiträge für die Zeit nach Zugang des Widerrufs beim Versicherer. Wir erstatten Ihnen auch einen eventuell vorhandenen Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 VVG. Haben Sie keine Zustimmung erteilt oder beginnt der Versicherungsschutz erst nach Ablauf der Widerrufsfrist, sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Beiträge erstatten wir Ihnen unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs.“
Der BGH hat sich an dem Wort „Beiträge“ nicht gestört.
Überdies kann der Kläger sich nicht ernstlich auf einen wirksamen Widerruf berufen, hat er doch über mehrere Jahre die Risikolebensversicherung zur Kreditsicherung bei der __ Sparkasse benötigt. Ein solches Verhalten ist treuwidrig (vgl. auch BGH vom 27.1.2016 IV ZR 130/15), auch wenn es einer Fundstelle hierzu eigentlich nicht bedarf. Selbst, wenn man annehmen wollte, der RV—Vertrag sei unwirksam, wird der Kläger nicht ernsthaft davon ausgehen können, dass er für die „Leistung“ der Beklagten, nämlich der Absicherung eines Kredits, nichts leisten müsste.
Der Kläger hat die 30-tägige Frist für die Ausübung des Widerrufs versäumt. Diese endete bereits Mitte September 2013, 30 Tage nachdem der Kläger das Policen-Begleitschreiben vom 13.08.2013 (BI. 7ff) und die beigefügten Unterlagen enthalten hatte.
Unschädlich ist, dass nicht erläutert wird, dass der Widerruf keiner Begründung bedarf. Denn diese Information ist vor dem Hintergrund entbehrlich, dass sich im Gesetz keine Stütze für diese Notwendigkeit findet und aus der Belehrung gerade nicht hervorgeht, dass der Versicherungsnehmer Gründe für einen Widerruf angeben müsste (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2014 – 11 U 98/13 -, juris Rn. 79).
Zudem ist in der relevanten Neufassung gerade keine Begründung gefordert. Die Belehrung über das Widerspruchsrecht ist aus ihrer äußeren Gestaltung nach noch ausreichend hervorgehoben. Die Belehrung muss drucktechnisch so gestaltet sein, dass sie sich deutlich vom übrigen Text abhebt und vom Versicherungsnehmer nicht übersehen werden kann. Eine solche Hervorhebung kann insbesondere durch die Wahl einer anderen Schriftart oder —größe, durch Fett— — wie hier- oder Kursivdruck und Kästchenbildung (wie hier) erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 09.01.2013 – IV ZR 197/11 —,juris Rn. 24 f.‚ auch zu weiteren Hervorhebungsmöglichkeiten).
Diesen Anforderungen an eine Hervorhebung wird die Belehrung gerecht. Sie ist getrennt vom übrigen Text am Ende des Schreibens eingerückt mit dem Vermerk in Fettdruck „Bitte beachten“ hervorgehoben dargestellt.
Auf das Urteil des BGH. Urteil vom 09.01.2013 – IV ZR 197/11 -‚ juris Rn. 25, der eine Hervorhebung einzelner Worte eines Fließtexts durch Kursivdruck als nicht ausreichend angesehen hat, braucht nicht eingegangen werden. Denn der Widerspruchstext ist wie erwähnt besonders hervorgehoben und nicht in einem Fließtext „untergebracht“. Vorliegend ist die Belehrung als eigener Absatz gekästelt ausgestaltet. Es handelt sich hier – wiederum im Unterschied zu der Belehrung, die dem Urteil des BGH‚ a.a.O. zu Grunde lag — um die
einzige Textpassage des Schreibens mit einer solchen Hervorhebung. Die Widerrufsbelehrung ist ausreichend leicht sichtbar und im unteren Teil des Versicherungsübersendungsschreibens, das mit der Versicherungspolice jeweils versandt und verbunden war, gut aufzufinden (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 23.10.2014 — 7 U 256/13 -, juris Rn. 27 f.). Die Belehrung sticht auch für einen unbefangenen Verbraucher bereits bei einem bloßen Überfliegen des Schreibens ins Auge und kann nicht unbeachtet bleiben (vgl. Oberlandesgericht des Landes Sachsen—Anhalt, Urteil vom 14.02.2013 — 4 U 63/12 -, juris Rn‘ 37, dort zum Fettdruck).
Soweit man auf die Tatsache abstellt, dass das Anschreiben drei Seiten umfasst, ist nicht zu verkennen, dass diesem Schreiben weitere Unterlagen beigefügt waren. Gerade dadurch, dass die Widerspruchsbelehrung aber bereits zu Beginn, im Anschreiben und nicht etwa „versteckt“ inmitten der weiteren Unterlagen zu finden war, konnte ein verständiger Versicherungsnehmer sie nicht übersehen (vgl. nochmals Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 23.10.2014 – 7 U 256/13 -, juris Rn. 27).
Einer gesonderten Überschrift „Widerrufsbelehrung“ bedurfte es nicht, dies liegt aber sogar vor.
Vorsorglich: Auch einen Widerruf „auf Basis des § 355 BGB“ konnte der Kläger nicht mehr erklären. Ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB steht dem Kläger nicht zu. Insbesondere hat er kein Widerrufsrecht nach §§ 355, 495, 506 BGB. Denn es handelt sich bei der vertraglich vereinbarten unterjährigen (hier: monatlichen) Zahlungsweise der Versicherungsprämien nicht um eine Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs nach § 491 BGB, § 506 Abs. 1 BGB.
All die vorgenannten Ausführungen können im Grunde dahinstehen. Selbst bei unterstellt nicht ordnungsgemäßer Belehrung ist in der Gesamtschau der Anspruch verwirkt. Diese Auffassung wird mit dem Bundesverfassungsgericht (2 BvR 2437/14) in der „Alternativbegründung“ getragen (vgl. auch 2 BvR 2437/14).
Denn der Kläger verhält sich entgegen § 242 BGB treuwidrig, wenn er sich nach 5 Jahren nach Vertragsschluss und unter bereits erwähnter „Benutzung der RisikoLV zur Kreditsicherung“ nunmehr auf eine angebliche Unwirksamkeit des Vertrags beruft. Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung treuwidrig erscheinen lassen. So liegen die Dinge, wenn — wie hier – der Kläger nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen zunächst durchführte (Kreditsicherung!) und erst dann von der Beklagten, die auf den Bestand des Vertrags vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2004 — IV ZR 58/03 —‚ juris Rn. 33 f. = VersR 2014, 1065; dem folgend auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2014 – 11 U 98/13 -, juris Rn. 64 ff‘).
Die Entscheidung des BGH, Urteil vom 07.05.2014 — IV ZR 76/11 —‚ betrifft dagegen den Fall, dass die Versicherungsgesellschaft nicht – wie hier – über das Widerspruchsrecht (bzw. Widerrufsrecht) belehrt hat.
Unabhängig von Vorstehendem ist auf Folgendes abzustellen: Der Kläger hat für einen kurzen Zeitraum von ca. 5 Jahren eine Absicherung der Risiken genossen, die die Beklagte gewährt hatte. Diese Absicherung konnte er selbst bei rechtlicher Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages nicht entgeltlos beanspruchen. Selbst wenn man also einen Anspruch des Klägers bejahen wollte, müsste man einen entsprechenden Abzug für das versicherte Risiko entgegenhalten. Dabei bleibt die Leistung der Beklagten „Absicherung“ eines Kredits noch unerwähnt (siehe aber oben)“