Pressefreiheit bei Verdachtsberichterstattung in einem Internetblog Teil II

Hauptverwaltungsbeamter und Vereinsvorsitzender kann unbequemen Beitrag in einem Internetblog über wahre Tatsachen nicht untersagen lassen

Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 04.12.2020 – Aktenzeichen 1 U 47/20 (11 O 108/20 LG Frankfurt (Oder))

Der Verfügungskläger, ein Hauptverwaltungsbeamter, hat am 27.5.2020 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, durch die dem Verfügungsbeklagten, einem Betreiber des Internetblogs „barnim-plus“, die Behauptung und Verbreitung weiter Teile eines Beitrags unter dem Titel „Strafanzeige gegen Volkssolidaritätsvorstände Mächtig (Die Linke), Nedlin und Huhn wegen schwerer Untreue“ untersagt werden sollte.

Das Brandenburgische OLG hat nun in seinem Hinweisbeschluss vom 04.12.2020 festgestellt: „Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers wird keinen Erfolg haben können. Das Landgericht hat – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung in Ermangelung des Bestehens eines Verfügungsanspruchs aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB abgelehnt. Denn es handelt sich bei den verfahrensgegenständlichen Inhalten der Veröffentlichung vom 8.5.2020 um Tatsachenbehauptungen und – vereinzelte – wertende Äußerungen, die nach der im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung gebotenen summarischen Prüfung (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., Rn. 3 vor § 916) das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs des Verfügungsklägers nicht erkennen lassen.“… „Die Überschrift „Strafanzeige gegen Volkssolidaritätsvorstände (…)“ und die Unterüberschrift „Strafanzeige gegen Volkssolidaritätsvorstände“ bezeichnen wahre Tatsachen.“

Im Folgenden:
… „Es stellt gleichfalls eine wahre Tatsache dar, dass allein der Verfügungskläger für den Verein im Januar 2020 einen Geschäftsführeranstellungsvertrag zwischen dem Verein und Frau ________ unterzeichnet und es sich bei Frau ________ um eine gelernte Krankenpflegerin mit Bachelorabschluss im Gesundheits- und Pflegemanagement handelt, die durch den Vertragsschluss die Verantwortung für rund 100 Mitarbeiter im Jugendhilfe- und Behindertenbereich erlangt hat. Auch dieser Sachverhalt steht zwischen den Parteien des Rechtsstreits als zutreffend außer Streit. Gleichfalls unstreitig ist, dass nach der Satzung des Vereins für Vertragsschlüsse die Vertragsunterzeichnung durch – grundsätzlich – zwei Vorstandsmitglieder erforderlich ist. Damit enthält die diesbezügliche Passage der Veröffentlichung ebenfalls ausschließlich wahre Tatsachen, für die ein Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers gegen den Verfügungsbeklagten nicht in Betracht kommt.

Ebenso trifft es in tatsächlicher Hinsicht zu, dass das im Geschäftsführeranstellungsvertrag vereinbarte Entgelt ein Entgelt der Entgeltgruppe 14, Stufe 3, TVöD übersteigt und lediglich das tarifliche Entgelt von den Landkreisen _____ und ______ als angemessenes Geschäftsführerentgelt bezeichnet worden ist. Der Verfügungskläger selbst hat dazu das Schreiben des Landkreises _____ vom 20.4.2020 (Bl. 293 d. A.) vorgelegt, in dem ausdrücklich ausgeführt wird, dass eine an dieser Entgeltgruppe orientierte Vergütung als ortsüblich und angemessen angesehen werde. Nach der vom Verfügungsbeklagten vorgelegten E-Mail des Landkreises ________ vom 1.4.2020 (Bl. 531 d. A.), deren Existenz und Zugang der Verfügungskläger nicht in Abrede stellt, ist Gleiches auch von dort mitgeteilt worden. Soweit die diesbezügliche Passage der Veröffentlichung durch das Wort „problematisch“ mit einem wertenden Element eingeleitet wird, gibt dieses der Sachdarstellung nicht das Gepräge und ändert damit nichts daran, dass es sich um eine Darstellung wahrer Tatsachen handelt; ungeachtet dessen handelt es sich dabei um eine sehr zurückhaltende Bewertung, die die Grenze zu einer Schmähkritik oder Formalbeleidigung bei weitem nicht erreicht und die in Abwägung mit den Belangen des Verfügungsklägers, der hier allein in dem Bereich seiner Sozialsphäre betroffen ist, dem Verfügungsbeklagten nicht untersagt werden kann.

In gleicher Weise stellt es eine wahre Tatsache dar, dass nach § 3 Abs. 5 der Satzung des Vereins eine Zahlung unverhältnismäßig hoher Vergütungen an für den Verein tätige Personen untersagt ist. Dieser Text der Veröffentlichung gibt die genannte Satzungsbestimmung (Bl. 32 d. A.) zutreffend wieder. Dass ein Verstoß dagegen die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Vereins gefährden kann, entspricht der Rechtslage zu § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler/Musil, AO, Stand Oktober 2020, § 55, Rn. 213; Winheller/Geibel/Jachmann-Michel/Eifert, Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht, Anh. § 51 AO, Rn. 229), weshalb diese Darstellung auch ungeachtet der Frage, ob es sich um eine – dann wahre – (Rechts-) Tatsache oder um eine Meinungsäußerung handelt, nicht untersagt werden kann.

Zu der darauf folgenden Darstellung, dass die unangemessene Vergütung zu einem Schaden des Vereins in Höhe von mindestens 25.000 € jährlich führe, erschließt sich aus dem Zusammenhang der Veröffentlichung, dass damit die von den Landkreisen ______ und ______ vertretene Unangemessenheit der Geschäftsführervergütung gemeint ist. Dass eine Nichtübernahme von Kosten durch die Landkreise dazu führen würde, dass der Verein jährlich Kosten in Höhe von mindestens 25.000 € zu tragen hätte, stellt der Verfügungskläger nicht in Abrede; die diesbezügliche Berechnung im Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 4.6.2020 (Bl. 513 d. A.) bestreitet er nicht. Damit liegt auch hier die Darstellung einer wahren Tatsache vor, die von der Meinungsfreiheit des Verfügungsbeklagten gedeckt ist.“… „Zu der hinzugefügten Bemerkung, dass dem Verfügungskläger eine besondere Nähe zu der angestellten Geschäftsführerin nachgesagt werde, ist dem Verfügungskläger darin beizutreten, dass offensichtlich ein bloßes Gerücht weitergegeben wird. Allerdings kann der Verfügungsbeklagte sich diesbezüglich auf das Bestehen eines öffentlichen Interesses (vgl. BGH NJW-RR 1988, 733, 734) berufen, da es im Hinblick auf die Tätigkeit des Verfügungsklägers als Vorstand des __________ e. V. von berechtigtem öffentlichen Interesse ist, ob die Person, mit der er einen Geschäftsführeranstellungsvertrag für den Verein geschlossen hat, in einem Verhältnis der persönlichen Nähe zu ihm steht. Auch insoweit kann mithin ein Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers nicht bejaht werden. Es ist ebenfalls tatsächlich zutreffend, dass die früheren Vorstandsmitglieder H und S den Anstellungsvertrag mit der Geschäftsführerin _______ unter Hinweis auf ein satzungswidriges Zustandekommen mit Schreiben vom 6.4.2020 gekündigt und der am 29.4.2020 neu gewählte Vorstand in Kenntnis der erwähnten Äußerungen der Landkreise _______ und ______ die Kündigung rückgängig gemacht und das Geschäftsführeranstellungsverhältnis fortgeführt haben. Es steht zwischen den Parteien außer Streit, dass dies so geschehen ist, weshalb die Veröffentlichung auch hier wahre Tatsachen zum Gegenstand hat, deren Unterlassung nicht verlangt werden kann.
Das gilt auch für die Darstellung, dass Mitarbeiter des Vereins im April in einem Brief an den Vorstand auf Geschäftsführungsfehler und fragwürdige Vertragsanbahnungen mit der F____ GmbH hingewiesen hätten. Der Verfügungskläger selbst hat das Schreiben von Vereinsmitarbeitern vom 8.4.2020 (Bl. 322 d. A.) vorgelegt, in dem solche Vorwürfe erhoben und die Vertragsanbahnung mit „der Firma F______“ angesprochen werden (Bl. 327 d. A.). Auch hier werden mithin wahre Tatsachen dargestellt, weshalb auch dieser Inhalt der Veröffentlichung nicht zu einem Unterlassungsanspruch gegen den Verfügungsbeklagten führen kann. Soweit einleitend mit den Worten: „Dabei beeindruckte sie auch nicht, dass (…)“ eine wertende Formulierung verwandt worden ist, gibt diese der Darstellung nicht das Gepräge und ändert damit nichts daran, dass es sich um eine Tatsachendarstellung handelt, die nach ihrem – gegebenen – Wahrheitsgehalt zu bemessen ist.
Für den Folgesatz, dass die Geschäftsführerin _______ im März 2020 einen Arbeitsvertrag für den Verein mit der Schwiegertochter des Vorstandsmitglieds M_____ geschlossen habe, erschließt sich aus dem Vorbringen des Verfügungsklägers nicht, dass dies so nicht geschehen sein mag, weshalb insoweit auch ohne einen substantiierten Sachvortrag des Verfügungsbeklagten davon auszugehen ist, dass auch hier eine zutreffende Wiedergabe des Tatsachenstoffs vorliegt.

Die abschließend – wiederholte – Bemerkung, dass die Staatsanwaltschaft eine Strafbarkeit der Vorstände prüfe, führt aus den bereits genannten Gründen ebenfalls nicht zu einem Unterlassungsanspruch.

Nach alledem wird die Berufung des Verfügungsklägers in Ermangelung des Bestehens eines Verfügungsanspruchs zurückzuweisen sein, weshalb der Senat zur Vermeidung weiterer Kosten deren Zurücknahme zu erwägen gibt.