Zur Schätzung des Schmutzwasserverbrauchs durch Rückgriff auf § 162 AO

Urteil Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder)

Az VG 5 K 566/18

Eine Schätzung des Schmutzwasserverbrauchs durch Rückgriff auf die Befugnis gemäß § 162 AO ist zulässig, wenn keine geeigneten Daten aus dem Vorjahr vorliegen. Die Rechtmäßigkeit einer Schätzung ist dabei nicht davon abhängig, dass das Ergebnis der Schätzung die tatsächlichen Verhältnisse genau abbildet (Sächsisches Oberverwaltungs-gericht, Urteil vom 17. Januar 2020 – 5 A 334/17 –, Rn. 25, juris, m.w.N.) Ein Verfahrens- oder Formfehler (hier fehlende Anhörung) führt nur zur Aufhebung, wenn er sich im Sinne einer Kausalität tatsächlich auf die getroffene Entscheidung ausgewirkt hat oder der Bescheid unter Berücksichtigung des formellen Fehlers jedenfalls im Ergebnis nicht anders hätte ausfallen dürfen (Vorbeck, in: Koenig, 4. Aufl. 2021, AO § 127 Rn. 20).


Im Einzelnen:

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Schmutzwassergebühren für Mietwohnungen und ein Hotel im Wege der Schätzung.

Das Grundstück ist an die öffentliche Trinkwasserversorgungsanlage angeschlossen. Der Trinkwasserverbrauch aus der öffentlichen Anlage wird durch eine installierte und geeichte Wasseruhr gemessen. Das anfallende Abwasser wird leitungsgebunden über die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage abgeleitet. Der Kläger betreibt zudem eine eigene Wasserversorgungsanlage in Form eines Brunnens, an der seinerzeit kein geeichtes Messgerät installiert war.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob trotz zwischenzeitlicher Sperrung weiterhin Wasserdruck auf der Versorgungsleitung anstand und ob die Eigenversorgungsanlage mit dem Hausanschluss verbunden war.

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Beklagte dem Grunde nach berechtigt war, eine weitere Schmutzwassermenge im Wege der Schätzung zu ermitteln (Schätzungsanlass) und die Schätzung auch in rechtmäßiger Weise ausgeführt hat (Schätzungshöhe).

Zwar durfte die Schätzung nicht auf Grundlage nach § 3 Abs. 5 Gebührensatzung Schmutzwasser erfolgen, da die verbrauchte Wassermenge des letzten Erhebungszeitraums keine taugliche Schätzungsgrundlage bot. Dies rechtfertigt aber in diesem konkreten Einzelfall auf § 162 AO zurückzugreifen. Denn die satzungsrechtliche Schätzbefugnis ist erkennbar auch darauf ausgerichtet, dem wahren Sachverhalt möglichst nahe zu kommen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. April 2013 – OVG 9 B 5.12 –, Rn. 17, juris).

Die Schätzung der verbrauchten Trinkwassermenge nach dem Frischwassermaßstab ist eine besondere Art der Tatsachenfeststellung als Teil des Ermittlungs- und Festsetzungsverfahrens, ohne die im Abgabenrecht nicht auszukommen ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg, Beschluss vom 23. Juli 2003 – 2 B 333/02 –, Rn. 10, juris). Voraussetzung einer Schätzung ist demnach, dass die Gebührenerhebungsgrundlagen nicht ermittelbar sind. Das ist zum einen der Fall, wenn es objektiv unmöglich ist, eine Verbrauchsmenge zu ermitteln, etwa, weil ein geeichter und verplombter Wasserzähler gänzlich fehlt oder defekt ist (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. März 2009 – OVG 9 S 75.08 –, Rn. 13, juris). Das ist zum anderen der Fall, wenn ein besonderer Schätzungsanlass nach Maßgabe des Einzelfalls auftritt (Rüsken, in: Klein, 16. Aufl. 2022, AO § 162 Rn. 20).

Die Rechtmäßigkeit einer Schätzung ist dabei nicht davon abhängig, dass das Ergebnis der Schätzung die tatsächlichen Verhältnisse genau abbildet (Sächsisches Oberverwaltungs-gericht, Urteil vom 17. Januar 2020 – 5 A 334/17 –, Rn. 25, juris, m.w.N.)

Im Rahmen des Zumutbaren muss die Behörde die Grundlagen für die Gebührenbemessung selbst ermitteln. Sie muss sich insoweit umso weniger bemühen, je weniger der Abgabenpflichtige bereit ist, Angaben zu den in seiner Sphäre liegenden Umständen zu machen. Eine einfache Nachfrage in Bezug auf ersichtlich maßgebliche Umstände allerdings dürfte regelmäßig zumutbar sein (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Februar 2019 – OVG 9 S 7.18 –, Rn. 17, juris; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. April 2013 – OVG 9 B 5.12 –, Rn. 17, juris). Ein Verfahrens- oder Formfehler führt aber nur zur Aufhebung, wenn er sich im Sinne einer Kausalität tatsächlich auf die getroffene Entscheidung ausgewirkt hat oder der Bescheid unter Berücksichtigung des formellen Fehlers jedenfalls im Ergebnis nicht anders hätte ausfallen dürfen (Vorbeck, in: Koenig, 4. Aufl. 2021, AO § 127 Rn. 20).

Eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 2 AO ist keine Ermessenshandlung und enthält auch keinen gerichtlich nicht nachprüfbaren Beurteilungsspielraum, vielmehr ist eine vorgenommene Schätzung in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar (BFH, Beschluss vom 18. August 1999 – IV B 108/98 –, Rn. 3, juris; BFH, Urteil vom 19. Februar 1987 – IV R 143/84 –, BFHE 149, 121, BStBl II 1987, 412, Rn. 12, juris).

Eine Gebührenfestsetzung, die auf einer Schätzung beruht, kann sich auch deshalb als rechtswidrig erweisen, weil im Nachhinein der Schätzungsanlass entfallen ist oder bessere Schätzungsgrundlagen vorhanden sind (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Februar 2019 – OVG 9 S 7.18 –, Rn. 17, juris). Das soll beispielsweise der Fall sein, wenn der Kläger während des Klageverfahrens zu erkennen gibt, die Bewohner seien etwa nur die Hälfte des Jahres auf dem Grundstück anwesend gewesen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Be-schluss vom 21. Februar 2019 – OVG 9 S 7.18 –, Rn. 17, juris).